Ich finde es sehr schwer, Musik zu finden, die mich nicht nervt. Ich habe eigentlich mein ganzes Leben lang nicht verstanden, warum ich viele Musikstile, Interpreten, Stimmen, Klänge, Instrumente etc. nicht ertragen kann und bekam mit der Diagnose Asperger-Autismus eine für mich sehr schlüssige Erklärung dafür geliefert. Wie viele andere Aspies auch, habe ich sehr feine Sinne, unter anderem sprichwörtliche Katzenohren. Ich reagiere auf das, was ich als Mißklang empfinde, nicht nur emotional, sondern auch körperlich, nämlich mit beschleunigtem Puls, schneller, flacher Atmung und hohem Blutdruck – kurz gesagt: Streß.
Das Problem ist natürlich, daß man Ohren nicht zuklappen kann. Ohrstöpsel oder Kopfhörer funktionieren nur bedingt, denn eine Schwingung wird ja trotzdem übertragen und viele Geräusche mogeln sich am Ohrschutz vorbei. Dazu kommt, daß dauerhaftes Tragen von Hörschutz natürlich auch nicht gesund ist und sich für mich sehr belästigend anfühlt.
Im Alltag ist es ganz schön fordernd, so feine Ohren zu haben, vor allem wenn man eben nicht als Eremit im Wald lebt (und auch im Wald wären z.B. monotone Piep-Geräusche von Vögeln ein Problem). Jemand rennt im Haus herum, die Dielen knarren, Türen klappern, Geschirr wird gegeneinander geklonkt, eine Katze maunzt, ein Ventilator läuft. Draußen schmeißt ein Nachbar die elektrische Sense an, ein anderer parkt ein, ein Dritter ruft seinem Kind etwas im Garten zu, irgendwo schrillt ein Telefon. Verkehrslärm ist die Kulisse, Vögel zwitschern, jemand schlägt ein Fenster zu. Kirchenglocken, Schritte von Leuten unterm Fenster entlang, ein Hund bellt, ein anderer bellt mit, jemand ruft etwas. An sich eine normale Dorf-Geräuschkulisse (in der Stadt bin ich noch viel schneller überreizt), aber da Asperger-Autisten ein Problem mit dem Filtern von Reizen haben, dringt eben alles durch. Gleichzeitig. Unfaßbar laut. Eine Kakophonie. Ich bin mir sicher, mein kreissägender Nachbar hat sich noch nie Gedanken darum gemacht, was für einen Streß er mit seinem Hobby bei mir erzeugt. Das ist ja überhaupt das Dilemma: neurotypische Menschen sind sich des ständigen Krachs, den sie machen, nicht bewußt. Für mich ist es mitunter bereits störend, wie laut manche Leute allein schon atmen…
Schwierig ist auch, wenn man versucht, Menschen mit weniger sensiblen Ohren zu erklären, wie man selbst die Welt hört. Manchmal ergibt sich die Gelegenheit und ich kann demonstrieren, wie fein mein Gehör ist, wenn z.B. mein Rolli-Ladegerät anspringt. Es gibt einen sehr feinen, hohen Pfeifton von sich, den in der Regel niemand außer mir hört, aber da das Ding auch ein Lichtsignal gibt, wenn es lädt, kann man halt abbilden, daß ich es höre, wenn es eine Ladetätigkeit gibt, indem man mir das Lichtsignal nicht zeigt und ich eben angebe, wann es lädt und wann nicht. Aber in der Regel kann ich anderen nicht erklären, wie sensibel mein Gehör ist.
Leider mündet das meist darin, daß mein Bedürfnis nach Stille nicht erfüllt wird, weil kaum jemand versteht, was ich mit Stille meine. Füßescharren, Atemgeräusche, das Reiben einer Decke an Haut, Tellerklappern, Stühlerücken, der leise Pfeifton eines Computers, Handy-Töne und anderes mehr scheint von Menschen mit weniger sensiblem Gehör nicht wahrgenommen oder aber nicht als Krach wahrgenommen zu werden. Habe mal ein Video über einen fast absolut stillen Raum gesehen, in dem normale Menschen es wohl maximal eine Stunde aushalten, bevor sie es nicht mehr ertragen, ihren eigenen Herzschlag und das Rauschen ihres Blutes zu hören. Das ist für mich der Normalzustand. Immer. Da ist es kein Wunder, daß ich bei ständiger Überreizung in einen Overload-Zustand gerate. Und das Gehör ist gerade mal einer meiner hypersensiblen Sinne…
Aufgrund meines feines Gehörsinns setze ich mich selbst niemals einer Hintergrundbeschallung aus. Das heißt, wenn ich Musik höre, höre ich Musik bewußt. Wenn ich damit fertig bin, schalte ich sie aus, und dann gibt es wieder Stille. Ich habe niemals Fernsehen oder Radio im Hintergrund laufen und finde die permanente Geräuschkulisse, wenn ich unterwegs bin (Radio bei Ärzten, Einkaufsmusik im Supermarkt, Gedudel in der Parkgarage und im Fahrstuhl, „Hintergrund“musik in Restaurants etc.) sehr herausfordernd. Meist kann ich z.B. keine Unterhaltung führen oder einer folgen, wenn wir in einem Restaurant sind, wo Musik läuft. Mein Gehirn bekommt unterschiedliche akustische Reize nicht auseinandersortiert, d.h. ich kann de facto nicht hören, was jemand sagt, wenn die Lautstärke der Musik ein gewisses Maß überschreitet (und NTs sagen, dieses Maß ist sehr gering, was ich gar nicht finde ;)). Wenn ich mir extrem große Mühe gebe, bekomme ich es etwa 30 bis 40 Minuten hin, ermüde dabei aber sehr schnell, weil es einfach unfaßbar anstrengend ist. Aus diesem Grund lehne ich übrigens Gruppentreffen (am besten noch in Restaurants) generell ab – ich kann einfach nicht mit so vielen Stimmen umgehen, die alle andere Themen und Launen transportieren, dazu Gläserklirren, Musik, Stimmengewirr von anderen Tischen etc. Da bin ich innerhalb von 3 bis 7 Minuten am Ende meiner Kapazität angelangt – meist noch vor der Bestellung der Getränke.
Da ich so vieles als akustische Überlastung bzw. als Mißklang empfinde, ist es natürlich schwierig, Musik zu finden, die ich wirklich gut hören kann. Dabei liebe ich Musik und fände ein Leben ohne sie nicht lebenswert. Tatsächlich ist es aber so, daß ich nur einen sehr eingeschränkten Kreis von Künstlern habe, die ich seit Jahren gern höre. Neues kommt selten dazu, dafür höre ich viele Alben seit über 25 Jahren immer wieder (z.B. „Achtung Baby“ von U2). Wenn Bands, die ich gern mag, neue Alben herausgeben, ist das für mich immer eine Zitterpartie, denn leider ist es oft so, daß mir neue Werke „meiner“ Künstler nicht gefallen. Inzwischen denke ich, daß das auch typisch Aspie ist – ich höre ja auch immer wieder dieselben Hörbücher. Das Vertraute ist gut, das Neue ist erstmal suspekt (und oft auch auf Dauer nicht so toll wie das Vertraute). Ich brauche auch sehr lange, bis etwas nicht mehr neu ist. Erschwerend kommt hinzu, daß ich oft von einem Album nur wenige Stücke mag und die anderen als störendes „Beiwerk“ empfinde. Erst kürzlich, als ich den USB-Stick für das Auto neu bestückte, fiel mir auf, daß der Großteil seines Speichers mit Songs belegt ist, die ich nie höre, einfach weil sie mit Songs, die ich mag, auf einem Album sind. Ich habe den USB-Stick jetzt radikal von allem befreit, das mir nicht gefällt, und jetzt sind 83% frei…
Zur Zeit entdecke ich klassische Musik und Chorgesang für mich. Aber auch da mag ich nicht alles. Da ich allgemein lieber ruhige, dunkle Musik mag, gefällt mir nun auch nichts Klassisches, das hysterisch gute Laune verbreitet. Bin bei den Chorgesängen (Männerchöre! Frauenstimmen mag ich allgemein nicht besonders gern) der orthodoxen Kirche hängen geblieben, die sehr ruhig und dunkel/tief sind. Auch gibt es Orgelmusik, die ich gern mag, und offenbar eine Menge aus dem Barock (was ich interessant finde, weil ich diese Musik – Vivialdi z.B. – oft als zu überladen und quietschig empfunden habe, aber es gibt manches, was ich sehr entspannend finde, wie z.B. Tomaso Albinoni).
Eine Barriere, die ich allgemein bei Musik habe, ist, daß ich nicht nur die Klänge höre, sondern auch dem Text Beachtung schenke. Leider sind viele Texte – mal deutlich gesagt – strunzdumm und ich halte es nicht aus, dem zuzuhören. Auch fallen mir Grammatikfehler auf. In einem Song, den ich ansonsten sehr mag, heißt es „I want that you understand“. Nur daß man das so nicht sagen kann. Nie.
Vor ein paar Jahren habe ich rausgefunden, daß sich mit manchen Naturgeräuschen mein Gehirn wieder in eine normale Wellenlänge einschunkelt, z.B. Regengeräusche oder Wellen. Das nutze ich gern, wenn ich mich überreizt fühle (funktioniert aber auch nicht immer). Künstliche Geräusche wie Ventilatoren oder Motorengeräusche hingegen finde ich sehr nervig.
Alles in allem wird die Musikindustrie an mir wohl eher nicht reich werden 🙂 Ich würde mir eigentlich sehr wünschen, daß es ein größeres Bewußtsein dafür gäbe, daß Lärm krank macht, und daß für Menschen wie mich Lärm schon in den unteren Dezibelbereichen anfängt.